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Die „medizinische Notwendigkeit“ ist in der privaten Krankenversicherung normalerweise Grundbedingung für die Erstattung von Behandlungskosten. Ausnahmen bestätigen die Regel. In einem kürzlich veröffentlichten Urteil des OLG Karlsruhe (Urteil v. 2.2.2023 - Az.: 12 U 194/22) wurde ein PKV-Anbieter zur Kostenübernahme verpflichtet, obwohl keine medizinische Notwendigkeit vorlag. Es ging allerdings um einen speziellen Fall, der wenig Spielraum für Verallgemeinerungen lässt.
Geklagt hatte eine Frau, die sich nach einem Herzinfarkt ab 2013 wegen verschiedener Beschwerden und Leiden bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Umweltmedizin behandeln ließ. Dieser nahm u.a. eine Photonentherapie und eine hyperbare Ozontherapie vor. Die dafür in Rechnung gestellten Kosten wurden von der privaten Krankenversicherung der Klägerin in den Jahren 2013 und 2014 - mit geringfügigen Abzügen - anstandslos übernommen.
In einem Schreiben vom 23.03.2015 an die Klägerin teilte die Versicherung der Klägerin dann eine Prüfung ihres Leistungsanspruchs mit und forderte neben einem ausführlichen Befund- und Behandlungsbericht auch eine unterschriebene Einverständniserklärung. Von den Behandlungskosten in Höhe von 9.543 Euro im Zeitraum Februar 2015 bis Juli 2015 erstattete die Versicherung danach nur einen kleineren Teil in Höhe von 1.679 Euro und lehnte die Erstattung für den Rest wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit ab.
„Treuwidriges“ Verhalten der Versicherung?
Hiergegen klagte die Frau zunächst vor dem Landgericht Karlsruhe mit der Begründung, sämtliche Leistungen seien medizinisch notwendig gewesen. Außerdem verhalte sich die Versicherung „treuwidrig“, da sie die Behandlungskosten zuvor beanstandungslos übernommen habe und die Ablehnung der Kostenerstattung erst nach einer unverhältnismäßig langen Prüfungszeit von sieben Monaten erfolgt sei.
In dem Verfahren vor dem Landgericht Karlsruhe bestätigten mehrere Gutachter die Auffassung der Versicherung, dass ganz überwiegend bei den strittigen Behandlungen keine medizinische Notwendigkeit gegeben gewesen sei. Danach habe keine Leistungspflicht bestanden. Nur Kosten im Umfang von 323 Euro seien zu erstatten gewesen. Dennoch verurteilte das Landgericht die Versicherung, die im ersten Quartal 2015 - vor der Überprüfungsmitteilung der Versicherung - angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 4.235 Euro zu erstatten.
Die Klägerin habe einen Anspruch aus Vertrauenshaftung. Da die Versicherung die Rechnungen zuvor anstandslos erstatte habe, durfte die Klägerin bis zur Mitteilung der Überprüfung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben davon ausgehen, dass das auch weiterhin geschehen werde. Dieser Auffassung schlossen sich im Revisionsverfahren auch die Richter am OLG Karlsruhe an.
Kein Automatismus bei der Vertrauenshaftung
Sie erklärten allerdings auch, dass die Vertrauenshaftung in ähnlich gelagerten Fällen nicht automatisch greife. Es komme immer auf den betreffenden Fall und eine angemessene Interessenabwägung an. Zum Beispiel könne zu berücksichtigen sein, wie sehr das Vertrauen des Versicherungsnehmers auf die Kostenerstattung seine Entscheidung für die Behandlung beeinflusst habe.