
Jahrelang konnten die gesetzlichen Krankenkassen Überschüsse verzeichnen. Die gute Konjunktur und eine exzellente Beschäftigungslage machten es möglich. Doch diese Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein. Nachdem bereits im ersten Quartal die Kassenlage defizitär war, ist das Minus im zweiten Quartal noch größer geworden.
Seit Jahresbeginn haben die Kassen 544 Mio. Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Das geht aus einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums hervor. Die Ausgaben sind deutlich stärker gestiegen als die Einnahmen. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2018 haben sich die Ausgaben um 4,7 Prozent erhöht, die Einnahmen dagegen nur um 3,6 Prozent. Insgesamt erreichten die Ausgaben der GKV 125,2 Mrd. Euro, das sind 5,6 Mrd. Euro mehr als im Vorjahr. 2018 hatten die Kassen im gleichen Zeitraum noch einen Überschuss von 720 Mio. Euro verzeichnet.
Einnahmen hinken den Ausgaben hinterher
In einigen Bereichen sind die Ausgaben besonders stark gestiegen. „Spitzenreiter“ sind die Kosten für Schutzimpfungen (+13,27 Prozent) und für Heilmittel (+12,46 Prozent). Ebenfalls überdurchschnittlich entwickelt haben sich die Ausgaben für Zahnersatz, Hilfsmittel, Krankengeld, Fahrtkosten, Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie für häusliche Krankenpflege. Recht stabil blieben dagegen die Ausgaben für „normale“ Zahnarztbehandlungen, stationäre Behandlungen, Vorsorge/Reha, Verwaltung, Früherkennung und Dialyse.
Die Verkehrung der Finanzlage von Überschüssen in Defizite hat verschiedene Gründe. Die überproportionalen Kostensteigerungen sind unter anderem durch kostenwirksame Maßnahmen der Großen Koalition bedingt. In diesem Zusammenhang sind das Pflegepersonalstärkungs- und das Terminservicegesetz zu nennen. Bei der verhalteneren Einnahmeentwicklung hat sich die durchschnittliche Absenkung der Zusatzbeiträge um 0,1 Prozentpunkte ausgewirkt. Der von der Politik geforderte Abbau der Finanzrücklagen hat mit zu den Beitragssenkungen beigetragen. Die sich abkühlende Konjunktur spielte dagegen noch eine untergeordnete Rolle, da sie bisher kaum auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen ist.
Größte Defizite bei Ersatz- und Betriebskrankenkassen
Interessant ist auch ein Blick auf die Verteilung von Defiziten und Überschüssen innerhalb der einzelnen Kassenorganisationen. Hier gibt es nämlich Unterschiede. Das größte Minus haben die Ersatzkassen mit 297 Mio. Euro eingefahren. Ihr Defizit macht 54,6 Prozent der Kassenverluste insgesamt aus. Ebenfalls deutlich defizitär waren die Betriebskrankenkassen mit 126 Mio. Euro (23,2 Prozent). Die Innungskrankenkassen verzeichneten ein Minus von 95 Mio. Euro (17,5 Prozent). Vergleichsweise gut haben dagegen die mitgliederstarken AOK’s abgeschnitten - mit -68 Mio. Euro (12,5 Prozent). Sogar leichte Überschüsse erwirtschaften konnten die Knappschaft Bahn See (+24 Mio. Euro) und die Landwirtschaftliche Krankenkasse (+18 Mio. Euro).
Nach wie vor große Finanzreserven
Trotz der ungünstigeren Entwicklung: die Krankenkassen sitzen nach wie vor auf einem guten Reservepolster. Ihre Rücklagen betrugen Ende des ersten Halbjahres 20,8 Mrd. Euro, immer noch 700 Mio. Euro mehr als nach den ersten sechs Monaten 2018. Hier wirken sich die noch im zweiten Halbjahr 2018 erzielten Überschüsse positiv aus. Auch der Gesundheitsfonds konnte im gleichen Betrachtungszeittraum seine Reserven von 9,1 Mrd. Euro auf 9,7 Mrd. Euro aufstocken.
Wachsende Defizite wahrscheinlich
Allerdings ist auch weiterhin mit einem überdurchschnittlichen Ausgabenanstieg zu rechnen. Der AOK-Bundesverband erwartet im zweiten Halbjahr weitere Kostenschübe - insbesondere bei Heilmitteln. Hier werden sich bessere Vergütungsregelungen für Therapeuten auswirken. Auch einige neue Arzneimittel können sich nach Einschätzung des Verbandes als ausgesprochene Kostentreiber zeigen. Auf der Einnahmenseite sind dagegen vorerst keine positiven Impulse in Sicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Defizite noch größer werden, ist daher hoch.