Auf wackeligen Füßen - die weitere Finanzierung der Pflegeversicherung

News-Artikel vom: 02.05.2024

Als die soziale Pflegeversicherung 1995 eingeführt wurde, war sie als „Teilkostenversicherung“ gedacht. Das heißt: die Versicherung erhob nicht den Anspruch einer vollen Pflegekostenabdeckung, sondern sollte nur einen Teil der finanziellen Belastungen bei Pflegebedarf abfedern. Seither hat manche Pflegereform stattgefunden, bei der die Leistungen verbessert wurden. Gleichzeitig hat die Zahl der Pflegefälle deutlich zugenommen - Folge einer alternden Gesellschaft, aber auch der Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten.

Das blieb nicht ohne Konsequenzen für die Finanzierung der Pflegeversicherung. Kam das System fast 30 Jahre lang ohne Zuschüsse aus Steuermitteln aus, wurde in der Corona-Pandemie erstmals der Bundeshaushalt in Anspruch genommen. Eine Milliarde Euro zahlte der Bund an Steuermitteln damals pro Jahr an die Pflegeversicherung. Dann ließ das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts diese Finanzierungsquelle abrupt versiegen. Für die Jahre 2024 bis 2027 wurde der Milliarden-Bundeszuschuss ausgesetzt. Stattdessen ist die jährliche Dotierung des Pflegevorsorgefondsvon 1,6 Mrd. Euro auf 0,7 Mrd. Euro gekürzt worden.
 

Finanzlöcher trotz im Zeitablauf steigender Beiträge

Der Fonds soll eigentlich die zu erwartenden Pflegemehrkosten durch die Babyboomer-Generation absichern. Hier wird jetzt ein Loch gerissen, um ein Loch an anderer Stelle zu stopfen. Eine nachhaltige Finanzierungslösung ist das sicher nicht. Derweil wird die Schere zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Pflegeversicherung immer größer - und das trotz der im Zeitablauf deutlich gestiegenen Beiträge. Am Beginn lag der Beitragssatz noch bei einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens, ab Mitte 1996 bei 1,7 Prozent. Mitte 2008 folgte eine Anhebung auf 1,95 Prozent, in den Jahren 2013 und 2015 auf 2,05 Prozent bzw. 2,35 Prozent, 2019 dann auf 3,05 Prozent und seit Mitte 2023 liegt der Beitragssatz bei 3,40 Prozent. Das dürfte nicht das berühmte Ende der Fahnenstange sein.

Unterdessen denkt Bundesgesundheitsminister Lauterbach laut über eine Wiederaufnahme der Finanzierung aus Steuermitteln nach. Den Anlass dazu bilden Vorschläge eine Expertenkommission zur künftigen Pflegefinanzierung , die Ende Mai vorgestellt werden sollen. Würde das Steuerfinanzierungsmodell des Ministers Wirklichkeit, kämen auf den Bundeshaushalt enorme Belastungen zu wie das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) vorrechnet.
 

Was die Stabilisierung der Pflegefinanzen den Bund kosten würde 

Unterstellt man nur die Auswirkungen des demografischen Wandels und sonst keine überproportionalen Kostensteigerungen, müsste der Bund in den Jahren 2025 bis 2030 insgesamt 18,5 Milliarden. Euro aus Steuermitteln zuschießen, um die Beiträge stabil zu halten. Alleine 2030 wäre ein Steuerzuschuss von fünf Milliarden Euro erforderlich. In den Jahren danach verschärft sich die Situation durch die Demografie nochmals dramatisch. 2040 müsste sich der Zuschuss bereits auf 20,5 Milliarden Euro belaufen.

Noch düsterer sieht die Lage aus, wenn man davon ausgeht, dass - wie bisher schon - die Pflegeausgaben schneller steigen als die Einnahmen. Das WIP hat hier mit einem Szenario gerechnet, das einen weiteren überproportionalen Kostenanstieg wie in den letzten zwanzig Jahren unterstellt. Von 2002 bis 2022 sind in der sozialen Pflegeversicherung die Einnahmen je Mitglied um durchschnittlich 2,0 Prozent p.a. gestiegen, die Ausgaben dagegen um 5,7 Prozent. Danach würden im Zeitraum 2025 bis 2030 Steuerzuschüsse von insgesamt 70,8 Milliarden Euro benötigt - mehr als dreimal so viel wie im Ursprungsszenario.
 

Schon bald höhere Beiträge?

Angesichts der knappen öffentlichen Kassen dürfte Lauterbach mit seinen Plänen bei Bundesfinanzminister Lindner auf wenig Gegenliebe stoßen. Die Spielräume für Steuerzuschüsse an die Pflegeversicherung sind denkbar eng. Stattdessen könnte auf die Versicherten schon bald eine weitere Beitragserhöhung zukommen. Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hatte in ihrem Pflegereport kürzlich vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Pflegeversicherung gewarnt, die nur durch eine Beitragssatzanpassung zum Jahreswechsel abgewendet werden könne.