Auf wackeligen Beinen - die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung
Erst zur Jahresmitte sind die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung deutlich gestiegen . Der allgemeine Beitragssatz wurde zum 1. Juli von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent ...
Im Jahr 2022 schloss die soziale Pflegeversicherung mit einem Defizit von 2,25 Mrd. Euro ab. In diesem Jahr dürfte das Finanzloch noch größer werden. Es wird mit einem Fehlbetrag von rund 3 Mrd. Euro gerechnet. In einem „Brandbrief“ an Bundeskanzler Scholz und Bundesfinanzminister Lindner haben daher bereits im Februar die großen Sozialverbände sowie die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen dringend mehr Steuermittel zur Finanzierung der Pflegeversicherung gefordert. Der Zuschussbedarf wird darin sogar noch höher veranschlagt. 4,5 Mrd. Euro seien zur Deckung der laufenden Ausgaben in diesem Jahr erforderlich, so die Verbände und Kassen in ihrem Schreiben.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat nahezu zeitgleich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ab Juli höhere Beiträge in der sozialen Pflegeversicherung vorsieht. Der Pflegebeitrag soll danach um 0,35 Prozentpunkte steigen. Ein weiterer wichtiger Gegenstand des geplanten Gesetzes ist die Umsetzung eines Bundesverfassungsgerichts-Urteils, wonach die Zahl der Kinder bei Beitragsbelastung stärker zu berücksichtigen ist als bisher.
Wird der Lauterbach’sche Gesetzentwurf Realität, würde sich für Kinderlose der Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung ab Juli von 3,4 Prozent auf 4,0 Prozent erhöhen. Davon entfielen 0,35 Prozentpunkte auf die geplante allgemeine Beitragserhöhung. 0,25 Prozentpunkte sind der Berücksichtigung des Urteils der Verfassungsrichter geschuldet. Der bisherige Kinderzuschlag von 0,35 Prozent erhöhte sich dadurch auf 0,6 Prozent. Der Arbeitgeber trägt davon die Hälfte (ohne Kinderzuschlag). Der vom kinderlosen Arbeitnehmer zu tragende Beitragssatz beliefe sich demnach ab Juli auf 2,3 Prozent (= 1,7 Prozent + 0,6 Prozent) statt bisher 1,875 Prozent = (1,525 Prozent + 0,35 Prozent).Bei Versicherten mit einem Kind soll es bei der bisherigen Regelung bleiben. Hier würde nur die allgemeine Beitragserhöhung um 0,35 Prozentpunkte wirksam. Der Beitragssatz stiege dann von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent. Der Arbeitnehmeranteil würde 1,7 Prozent betragen (statt bisher 1,525 Prozent). Entlastet werden sollen dagegen Beitragszahler mit mehr als einem Kind. Ab dem zweiten Kind würde der Beitragssatz für jedes Kind bis zum fünften Kind um 0,3 Prozent-Punkte sinken. Berücksichtigt man den Arbeitgeberanteil, bliebe dann bei fünf Kindern für einen Arbeitnehmer nur noch ein Beitrag von 1,1 Prozent zu zahlen.
Mit der Beitragsanhebung will Bundesgesundheitsminister Lauterbach unter anderem das Pflegegeld für die häusliche Pflege ab 2024 um fünf Prozent erhöhen. Außerdem sollen die Heimzuschläge für Pflegebedürftige um fünf bis zehn Prozent angehoben werden. Regelungen zur Bezuschussung der sozialen Pflegeversicherung aus Steuermitteln enthält der Gesetzentwurf nicht - aus gutem Grund: Bundesfinanzminister Lindner hat es bisher angesichts stark strapazierter Bundeskassen abgelehnt, zusätzliche Steuermittel für die Pflegeversicherung locker zu machen.
Dabei wäre er eigentlich in der Pflicht. Die Ampelparteien hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die pandemiebedingten Mehrkosten der Pflegeversicherung und die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln finanziert werden sollen. Der Finanzierungsbedarf dafür beläuft sich alleine auf rund 8 Mrd. Euro. Umgesetzt worden sind diese Vereinbarungen bisher nicht.
Eins ist jedenfalls klar. Lauterbachs Gesetz wird das Liquiditätsproblem der sozialen Pflegeversicherung nicht lösen. Wie das zu erwartende Milliardenloch gestopft werden soll, bleibt einstweilen offen. Man muss kein Prophet sein, um einen neuen Streit in der Ampel vorherzusehen - diesmal zur Finanzierung der Pflegeversicherung.