Scharfe Kritik an Plänen zur Pflegereform - Leistungsausweitung ohne angemessene Gegenfinanzierung

News-Artikel vom: 29.04.2023

Ein düsteres Bild zur künftigen Beitragsentwicklung in der Sozialen Pflegeversicherung zeichnet eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) unter dem Titel Soziale Pflegeversicherung heute und morgen: mögliche Szenarien“ . Würden die von der Bundesregierung verfolgten Pläne zur Pflegereform umgesetzt, werde die Lage noch dramatischer. Der Grund: es fehle an einer angemessenen Gegenfinanzierung für beabsichtigte Leistungsausweitungen.

Bereits wenn der heute bestehende Leistungsumfang der Sozialen Pflegeversicherung „eingefroren“ werde, müsste sich der Beitragssatz in den kommenden Jahren nahezu verdoppeln, um die Finanzierung zu sichern. Die Ausgaben würden sich weiter dynamisch entwickeln - aufgrund der Teuerung bei Pflegeleistungen und einer wachsenden Zahl Anspruchsberechtigter infolge des demografischen Wandels. Bei einer Umsetzung der Pflegereform sei mit noch drastischeren Beitragssteigerungen zu rechnen, wenn auch weiterhin die Ausgaben der Pflegeversicherung maßgeblich durch die Beitragseinnahmen finanziert werden sollen.
 

Nach ausgeglichener Finanzierung zuletzt immer häufigere Defizite

Ausgangspunkt der WIP-Prognose ist die bisherige Entwicklung bei Pflege-Anspruchsberechtigten, Pflegeausgaben und Beiträgen. Bei Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 gab es rund 1,8 Mio. Anspruchsberechtigte. Ihre Zahl hat sich bis Ende 2021 auf 4,6 Mio. erhöht - weniger durch die Alterung der Gesellschaft als durch die Ausweitung des Empfängerkreises von Pflegeleistungen.

Entwickelten sich die Ausgaben der Sozialen Pflegeversicherung in den ersten zehn Jahren seit 1995 noch moderat, ist seit 2007 ein dynamisches Ausgabenwachstum zu konstatieren, was wesentlich durch Leistungsausweitungen im Rahmen verschiedener Pflegereformen bedingt war. Zeitlich parallel dazu wurden die Beitragssätze in der Sozialen Pflegeversicherung schrittweise angehoben. Vor 2017 gelang dadurch eine vollständige Gegenfinanzierung - sogar mit kleinen Überschüssen. Seither weist der Finanzierungssaldo in der Sozialen Pflegeversicherung mehr rote als schwarze Vorzeichen auf. 2021 betrug das Finanzierungsdefizit 1,35 Mrd. Euro.
 

Prognose der notwendigen Beitragssätze mit drei Szenarien

Für die Prognose der weiteren Entwicklung legen die Studienautoren verschiedene Szenarien zugrunde:

  • im Basisszenario wird ausgehend von der Situation im Jahre 2021 von einem jährlichen Ausgaben- und beitragsbezogenen Einnahmenwachstum von 3,0 Prozent in der Sozialen Pflegeversicherung ausgegangen;
  • im Kostendruckszenario 1 wird von einem beitragsbezogenen Einnahmenwachstum von 3,0 Prozent und einem um einen Prozentpunkt höheren Ausgabenwachstum ausgegangen;
  • im Kostendruckszenario 2 wird von einem beitragsbezogenen Einnahmenwachstum von 3,0 Prozent und einem um zwei Prozentpunkte höheren Ausgabenwachstum ausgegangen.


Bei hohem Kostendruck Beitragssatz bis 2040 nahezu verdoppelt

Auf dieser Basis werden unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung die zur Ausgabendeckung notwendigen Beitragssätze für die Zukunft ausgerechnet.

  • im (optimistischen) Basisszenario würde sich der erforderliche Beitragssatz bis 2030 von durchschnittlich 3,36 Prozent in 2021 auf 3,93 Prozent in 2030 erhöhen und bis 2040 weiter auf 4,38 Prozent steigen;
  • im Kostendruckszenario 1 wäre ein Anstieg bis auf 4,26 Prozent in 2030 und bis auf 5,24 Prozent in 2040 erforderlich;
  • im Kostendruckszenario 2 müsste der Beitragssatz bis 2030 sogar auf 4,66 Prozent steigen und bis 2040 auf 6,26 Prozent. Das wäre dann nahezu eine Verdoppelung.

Die Studienautoren rechnen auch noch mit zwei alternativen demografischen Entwicklungen - einmal mit einer etwas günstigeren Entwicklung mit einer jüngeren Bevölkerung und zum anderen mit einer ungünstigeren mit einer noch stärkeren Alterung. Im günstigen Fall sind die zur Ausgabendeckung notwendigen Beitragssätze etwas niedriger, um ungünstigen noch höher.
 

Geplante Pflegereform verschlechtert Beitragsprognose drastisch

In all diesen Berechnungen sind die Auswirkungen der von der Bundesregierung beabsichtigten Pflegereform noch nicht berücksichtigt. Mit den dort vorgesehenen zusätzlichen Leistungsausweitungen müssten sich die Beiträge noch weiter erhöhen, um Ausgabendeckung herzustellen. Die Studie geht im Basisszenario von einem um 9 bis 10 Prozent höheren Beitragssatz, bei den Kostendruckszenarien sogar von 20 bis 43 Prozent höheren Beitragssätzen aus.

Mehr als der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“ ist die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach zur Reformfinanzierung anvisierte Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge zur Jahresmitte um 0,3 Prozentpunkte also nicht. Der PKV-Verband moniert denn auch die mangelnde Gegenfinanzierung des Reformvorhabens. Dringend nötig sein ein nachhaltiger und generationengerechter Neustart in der Pflegefinanzierung. Dazu gehöre auch der Ausbau der privaten und betrieblichen Pflege-Vorsorge.

 

 

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