Krankenversicherung muss auch in höherem Alter künstliche Befruchtung zahlen

Es war 1978 eine Sensation als in England das erste „Retortenbaby“ das Licht der Welt erblickte. Damals wurde noch heftig über künstliche Befruchtung diskutiert. Heute - über vierzig Jahre später - ist das Verfahren fast Routine geworden. Jedes Jahr werden in Deutschland rd. 15.000 bis 20.000 Kinder geboren, die auf diese Weise gezeugt worden sind. Die Zahl der künstlichen Befruchtungsversuche liegt um ein Vielfaches höher, denn im Schnitt führt nur etwa jede vierte Behandlung zum gewünschten Erfolg.

Die Kosten für künstliche Befruchtung werden von den Krankenkassen zumindest teilweise übernommen, oft sogar zu hundert Prozent. Eine Kostenbeteiligung ist sogar gesetzlich vorgeschrieben (§27a SGB V). Üblicherweise werden wenigstens 50 Prozent der Kosten für Behandlung und Medikamente getragen. Allerdings gelten dafür etliche Bedingungen, Voraussetzungen und auch Einschränkungen. Bei den privaten Krankenversicherern ist die Lage etwas unübersichtlicher. Wann und in welchem Umfang Kosten übernommen werden, hängt vom jeweiligen Tarif ab. Voraussetzung ist stets, dass zuvor eine organische Ursache für die Unfruchtbarkeit festgestellt worden ist.
 

Aussicht auf Schwangerschaft zählt, nicht Fehlgeburts-Risiko

Aber auch wenn in einem Tarif Leistungen vorgesehen sind, kann dies zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen. Dies zeigt ein Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang Dezember entschieden hat (BGH, Urteil vom 4.12.2019 - Az. IV ZR 323/18). Da es sich um ein höchstrichterliches Urteil handelt, dürfte die Entscheidung über den konkreten Streit hinaus Bedeutung haben.

In dem Fall hatte ein Ehemann aus Bremen gegen seinen PKV-Anbieter geklagt, der es abgelehnt hatte, die Kosten für eine mehrmalige künstliche Befruchtung zu übernehmen. Der Mann konnte nachgewiesenermaßen auf natürlichem Weg keine Kinder zeugen, deshalb blieb zur Erfüllung des Kinderwunsches nur dieses Verfahren. Die Kosten für die Behandlung beliefen sich auf insgesamt rund 17.500 Euro. Die Versicherung hatte ihre Weigerung unter Verweis auf das bereits relativ hohe Alter der Ehefrau begründet. Diese war zum Zeitpunkt der Behandlung 44 Jahre alt. Die Versicherung argumentierte mit dem für dieses Alter deutlich erhöhten Risiko einer Fehlgeburt, das statistisch belegt sei. Tatsächlich steigt das Fehlgeburts-Risiko ab 35 Jahren signifikant an. Es liegt bei 42jährige Frauen zum Beispiel bei 54 Prozent und ab 48 bei über 80 Prozent.

Die BGH-Richter ließen diese Argumentation allerdings nicht gelten. Für sie war entscheidend, dass eine„medizinisch notwendige“ Behandlung vorlag, wie es in den Versicherungsbedingungen als Voraussetzung für eine Leistungspflicht hieß. Diese stand bei dem Kläger aufgrund der festgestellten medizinischen Gegebenheiten außer Frage. Das Risiko einer Fehlgeburt war dagegen für die Richter von nachrangiger Bedeutung. Entscheidend sei die Aussicht, dass die künstliche Befruchtung zur Schwangerschaft führe, nicht dass diese erfolgreich verlaufe. Es müsse eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 15 Prozent je Behandlung gegeben sein, dass es zur Schwangerschaft komme. Das sahen die Richter nach der Beweisaufnahme als erfüllt an.
 

Das Selbstbestimmungsrecht beim Kinderwunsch

Eine andere Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn es aufgrund von gesundheitlichen Problemen unwahrscheinlich sei, dass das Kind lebend zur Welt kommen könne. Das war aber hier nicht relevant, da bei der Frau keine ernsthaften Erkrankungen in dieser Hinsicht vorlagen. Klinische Befunde und Laborwerte hatten sie im Gegenteil als "reproduktiv gesunde Frau" ausgewiesen. Die Richter merkten auch an, es gehöre zum Selbstbestimmungsrecht der Eheleute, sich im fortgeschrittenen Alter einen Kinderwunsch zu erfüllen und dabei bewusst altersspezifische Risiken einzugehen. Das begründe keine Einschränkung der Leistungspflicht der Krankenversicherung. Das Verlangen des Klägers auf Kostenerstattung wurde daher vom BGH im Wesentlichen anerkannt.