
Demnächst nicht mehr bei der AOK, Debeka oder DKV krankenversichert, sondern bei Amazon, Union Investment oder der Deutschen Bank? In Deutschland dürfte es wohl noch etwas dauern, bis es so weit kommt. Dem steht allein schon das recht festgefügte und stark reglementierte deutsche Krankenversicherungssystem entgegen. Es macht den Zugang für „Branchenfremde“ ebenso schwer wie die Neugründung von Krankenversicherungen.
In den USA sieht das anders aus. Hier gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung, die der in Deutschland vergleichbar wäre. Mehr als 45 Mio. US-Amerikaner haben überhaupt keinen Krankenschutz. Der Versuch von US-Präsident Obama, an diesem unbefriedigenden Zustand etwas zu ändern, hat die Situation nicht grundlegend verbessert. Und sein Nachfolger bemüht sich nach Kräften – wenn auch bis dato nicht sehr erfolgreich -, „Obamacare“ wieder abzureißen. Insgesamt gilt das US-Gesundheitssystem als lückenhaft, überteuert und oft wenig effizient.
Amazon, Berkshire Hathaway und JP Morgan
Drei bekannte Unternehmen aus den Vereinigten Staaten wollen daran jetzt etwas ändern und eine eigene Krankenversicherung gründen. Es sind ausschließlich Branchenfremde, die sich um den Krankenschutz kümmern: der Internet-Versandhändler Amazon, die Investment-Gesellschaft Berkshire Hathaway und die US-Bank JP Morgan Chase. Bei allen drei Unternehmen handelt es sich um „Schwergewichte“ in ihrer Branche mit Bedeutung weit über die USA hinaus.
Ziel der neuen Krankenkasse soll es zunächst sein, den Mitarbeitern der drei Unternehmen eine Krankenversicherung zu „vernünftigen Preisen“ anzubieten. Deshalb soll das Gemeinschaftsunternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht arbeiten. Weltweit beschäftigen die drei Konzerne insgesamt 900.000 Mitarbeiter. Die privaten Krankenversicherungen in den USA dürften die neue Konkurrenz mit Argwohn beobachten. Sie arbeiten gewinnorientiert und gelten als „träge Giganten“, die für ihre hohen Beiträge wenig Leistung bieten.
Sinnvolle Diversifizierung des Geschäftsportfolios
Dem soll die neue Krankenkasse etwas entgegenstellen. Dabei will man sich zunächst um technische Lösungen kümmern, die die Gesundheitskosten senken. Das gesamte unübersichtliche System von Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und Pharmaindustrie soll transparenter werden. Um das zu erreichen, gilt es „dicke Bretter“ zu bohren und Durchhaltevermögen zu beweisen. Genug finanzielle Substanz dafür haben die drei Unternehmen jedenfalls.
Sollte sich das Krankenkassen-Modell tragen, ist eine Ausweitung auch auf Kunden außerhalb des eigenen Mitarbeiterkreises wohl der nächste logische Schritt. Spätestens dann dürfte es mit dem Verzicht auf Gewinnerzielung vorbei sein und es könnte für die beteiligten Unternehmen der Einstieg in ein neues Geschäftsfeld bedeuten. Damit ließe sich das eigene Geschäftsportfolio sinnvoll ergänzen. Das Krankenversicherungsgeschäft gilt zwar nicht unbedingt als besonders gewinnträchtig, aber als vergleichsweise risikoarm und gut kalkulierbar. Auch das ist ein Wert.
Grenzen verschwimmen zusehends
Dass die Grenzen zwischen Geschäftsmodellen zunehmend „verschwimmen“, lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten. Die Internet-Wirtschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Beispiele dafür sind das von Google entwickelte autonome Auto, Amazon hat kürzlich seinen ersten Lebensmittel-Supermarkt eröffnet, FinTechs machen Banken Konkurrenz – die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass Internet-Größen auch künftig im Krankenversicherungsgeschäft „mitmischen“. Die erste rein digitale Krankenversicherung in Deutschland gibt es schon. Das Start-up Ottonova ging Mitte letzten Jahres an den Markt. Finanzstarke Investoren haben Geld in das junge Unternehmen gesteckt. Dazu gehören neben der Debeka auch Branchenfremde wie Tengelmann Ventures oder Holtzbrinck Ventures.