
Zum 1. Januar 2017 ist das sogenannte Pflegestärkungsgesetz II in Kraft getreten. Hinter diesem eher rechtstechnischen Begriff verbirgt sich die umfassendste Reform der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung im Jahre 1995. Zentrales Reformelement ist ein neues System zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit. Für die rund 2,7 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland bedeutet das eine deutliche Verbesserung. Der Kreis der berechtigten Leistungsbezieher wird größer und das Leistungsniveau im Allgemeinen angehoben.
Vor allem für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und schwindender geistiger Leistungsfähigkeit (Demenzkranke) ist die Reform ein echter Fortschritt. Sie hatten in dem alten System Schwierigkeiten, angemessene Pflegleistungen zu erhalten. Denn bei der Einführung der Pflegeversicherung hatte man die Pflegebedürftigkeit vor allem auf körperliche Einschränkungen abgestellt. Das ändert sich mit der neuen Einstufung. Damit wird auch einer neuen Sichtweise von Pflegebedürftigkeit und Pflege Rechnung getragen.
Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen
Die bisher bestehenden drei Pflegestufen werden nach dem Pflegestärkungsgesetz II durch fünf Pflegegrade abgelöst. Entscheidend bei der Eingruppierung ist jetzt, in welchem Umfang der Pflegebedürftige noch in der Lage ist, die alltäglichen Verrichtungen und die Lebensführung selbständig ohne fremde Hilfe wahrzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob die Einschränkungen körperlich, geistig oder psychisch bedingt sind. Je mehr Unterstützung benötigt wird, umso höher ist der Pflegegrad, in den eine Einstufung erfolgt.
In der „Fünf-Gradigkeit“ anstelle der bisher dreistufigen Eingruppierung kommt bereits eine stärkere Differenzierung zum Ausdruck. Damit haben jetzt auch Personen, die nur eine geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit aufweisen, eine Chance, Pflegeleistungen (Pflegegrad 1) zu erhalten. Im alten System war das de facto ausgeschlossen.
Neues System der Begutachtung nach Punkten
Dem veränderten Ansatz folgend ist auch das System der Begutachtung, um den Grad der Pflegebedürftigkeit festzustellen, ganz neu konzipiert worden. Bisher orientierte sich die Einstufung an dem - in Minuten gemessenen - täglichen Zeitaufwand, der zur Unterstützung des Pflegebedürftigen erforderlich war. Für die Feststellung des relevanten Pflegegrades kommt es jetzt darauf an, den noch gegebenen Grad der Selbständigkeit ohne fremde Hilfe zu ermitteln. Dazu wird ein Punktesystem genutzt, bei dem die Bereiche (Module):
- Mobilität;
- kognitive Fähigkeiten;
- psychische Verhaltensweisen;
- Selbstversorgung;
- krankheits- oder therapiebedingte Belastungen und
- Alltagsgestaltung
bewertet werden. Je höher die erreichte Punktzahl, umso höher der Pflegegrad. Ab 90 Punkten (einschließlich) gilt Pflegegrad 5. Maximal sind 100 Punkte erreichbar.
Bestandsschutz und Überleitung in das neue System
Für Personen, die bisher schon Anspruch auf Pflegeleistungen hatten, gilt Bestandsschutz. Sie sind automatisch in das neue System übergeleitet worden, ohne dazu eine erneute Begutachtung beantragen zu müssen. Die entsprechenden Überleitungsbescheide sollten bis Ende 2016 ausgestellt und versandt worden sein.
Dabei gilt das Prinzip: „Niemand soll sich schlechter stellen als bisher.“ Zu diesem Zweck ist bei der Überleitung in die neuen Pflegegrade eine Einstufung mindestens einen Grad höher als bei den Pflegestufen erfolgt. Pflegebedürftige, deren Alltagskompetenz - zu Beispiel wegen Demenz - dauerhaft oder erheblich eingeschränkt ist, konnten sogar zwei Grade höher eingestuft werden. In der Praxis sieht das beispielhaft wie folgt aus:
Pflegebedürftige in Pflegestufe 1 mit körperlichen Einschränkungen haben Pflegegrad 2 erhalten; - sind zusätzlich auch die Alltagskompetenzen eingeschränkt, erfolgte die Überleitung von Pflegestufe 1 in Pflegegrad 3; - analog dazu ist bei höheren Pflegestufen und -graden verfahren worden.
Wann eine Neubegutachtung sinnvoll ist
Trotz der automatischen Überleitung kann in manchen Fällen eine Neubegutachtung sinnvoll sein. Das ist zum Beispiel gegeben, wenn sich der ursprüngliche Gesundheitszustand, der zu einer bestimmten Pflegeeinstufung geführt hat, zwischenzeitlich deutlich verschlechtert hat und daher jetzt mehr Pflege nötig ist. Auch für Menschen mit psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen, bei denen vorher die Pflegebedürftigkeit abgelehnt wurde, kann jetzt ein erneuter Begutachtungsantrag zielführend sein, weil zumindest die Chance auf Pflegegrad 1 besteht.