Es ist noch nicht lange her, da konnten sich die gesetzlichen Krankenkassen über eine äußerst komfortable Finanzlage freuen. Die Einnahmen sprudelten dank guter Konjunktur und einer ausgezeichneten Beschäftigungssituation kräftig. Der Ausgabenanstieg hielt sich in Grenzen, auch wenn sich zuletzt aufgrund einiger gesundheitspolitischer Maßnahmen eine neue Dynamik entwickelte.
Das Ergebnis dieser positiven Entwicklung: im vergangenen Jahr erreichte das Rücklagenpolster der Krankenkassen über 20 Mrd. Euro. Weitere 10 Mrd. Euro hatten sich im Gesundheitsfonds aufgebaut. Einzelne Kassen konnten sogar so hohe Rücklagen bilden, dass sich der Gesetzgeber veranlasst sei, deren Abbau vorzugeben. Ein Teil der Überschüsse sollte wieder an die Versicherten zurückfließen.
Lage hat sich ins Gegenteil verkehrt
Heute - nur einige Monate später - hat sich die Lage praktisch ins Gegenteil verkehrt. Zwar gibt es immer noch Rücklagen, aber sie schmelzen dahin wie Schnee in der Sonne. Und einige Kassen sehen sich offenbar ernsthaften Liquiditätsproblemen gegenüber. Selbst das Gespenst möglicher Insolvenzen nimmt Gestalt an. Die Corona-Krise hat alle finanziellen Kalkulationen und Planungen über den Haufen geworfen. Deutliche Beitragserhöhungen zur Sicherung der finanziellen Stabilität sind nicht ausgeschlossen.
Durch Corona kommen auf die Krankenkassen erhebliche Mehrkosten zu - durch ärztliche Untersuchungen, Krankenhaus-Behandlungen bis hin zur Intensiv-Medizin und für teure Medikamente, aber auch wegen der umfangreich erforderlichen Schutzmaßnahmen. Um die Beteiligung an den Kosten für Corona-Tests und Maßnahmen wie Bonuszahlungen für Pflegekräfte wird derzeit noch gestritten.
Auf der anderen Seite zeichnen sich auf der Einnahmenseite dramatische Veränderungen ab. Unternehmensinsolvenzen und steigende Arbeitslosigkeit werden Einnahmen wegbrechen lassen. Auch die Kurzarbeit führt zu niedrigeren Beitragseinnahmen – bis zu 40 Prozent weniger im Vergleich zum Normalbeitrag. Noch wirkt sich das verhalten aus. Das volle Ausmaß dürfte sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Die Bundesregierung rechnet selbst damit, dass das Wirtschaftsniveau vor der Krise erst wieder 2022 erreicht sein wird.
Akute Liquiditätsengpässe im April
Die Lage ist auch deshalb prekär, weil die Rücklagen bei den Krankenkassen ungleich verteilt sind. Neben Kassen mit üppigen Reserven gibt es auch solche, die nur ein schmales Polster aufweisen können. Ihnen drohen als erstes Liquiditätsprobleme. Zu einem gravierenderen Engpass ist es nach Handelsblatt-Informationen bereits im April gekommen. Grund sind ausgebliebene Zahlungen aus dem Gesundheitsfonds. Dieser brauchte das Geld für Ausgleichszahlungen an die Krankenhäuser wegen der Bettenfreihaltung für Corona-Patienten. Die ausstehende Summe für die Krankenkasse soll jetzt ratenweise bis Ende Mai „abgestottert“ werden.
Da der Zuweisungsausfall mit einer äußerst kurzfristigen Vorankündigung erfolgte, brachte das einige Kassen in die Bredouille. Sie mussten Wertpapiere verkaufen, um ihre Liquidität sicherzustellen. Laut Handelsblatt soll es um ein Volumen von rund vier Milliarden Euro gegangen sein. Wegen der durch Corona ebenfalls angespannten Kapitalmarktlage war vielfach nur ein Verkauf mit Verlust möglich.
Zusatzbeitrag bald bei 2,2 Prozent?
Während sich das Liquiditätsproblem des Aprils in diesem Monat auflösen dürfte, gilt dies für das strukturelle Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben nicht. Die Krankenkassen profitieren zwar derzeit davon, dass manche Behandlung wegen Corona aufgeschoben wird. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Defizit auf der Einnahmenseite bleibt.
Schon wird die Befürchtung laut, der durchschnittliche Zusatzbeitrag (2020 bei 1,1 Prozent) könnte demnächst auf bis zu 2,2 Prozent emporschnellen. Für die Wirtschaft und die Arbeitnehmer eine zusätzliche Belastung in konjunkturell angespannten Zeiten. In dieser Lage richten sich Erwartungen an den Bund, mit zusätzlichen Mitteln aus dem Bundeshaushalt zur finanziellen Entspannung beizutragen. Doch der ist aktuell auch an vielen anderen Stellen gefordert. Um die finanzielle Bewältigung der Corona-Krise dürfte im Bereich der Krankenkassen noch hart gerungen werden.