In den vergangenen Jahren quollen die Kassen in der GKV geradezu über. Dank guter Konjunktur und hervorragender Beschäftigungslage sprudelten die Einnahmen wie selten zuvor. Viele Krankenkassen haben inzwischen sogar ihre Zusatzbeiträge gesenkt - ein Zustand, der sicher nicht ewig anhalten wird. Im Gegenteil - auf längere Sicht steht die „Gesetzliche“ vor erheblichen strukturellen Herausforderungen, was ihre Finanzen betrifft.
Bereits jetzt fließen die Einnahmen nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. 2018 erzielten die Kassen noch einen Überschuss von zwei Milliarden Euro - ein Drittel weniger als 2017. In diesem Jahr dürfte die Bilanz noch schlechter ausfallen. Wer weiß, ob überhaupt noch ein Überschuss drin ist. Verantwortlich ist vor allem die sich abkühlende Konjunktur. Seit dem ersten Quartal 2017 wächst die deutsche Wirtschaft immer langsamer, inzwischen wurde in zwei Quartalen sogar die Nulllinie nach unten durchbrochen. Eine Rezession wird mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen. Erstmals seit Langem zeigen sich die Auswirkungen auch am Arbeitsmarkt. Das wir nicht ohne (negativen) Einfluss auf die GKV-Einnahmen bleiben.
Trends bei Einnahmen und Ausgaben der GKV - IW-Studie
Der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung führen im Unterschied dazu unabhängig von der jeweiligen Wirtschaftslage zu einem kontinuierlichen Ausgabenanstieg. Neue Behandlungs-Methoden, innovative Verfahren und Leistungsausweitungen tragen zusätzlich zu Mehrausgaben bei. Solche Faktoren wirken langfristig. Es ist daher sinnvoll, sich losgelöst von der aktuellen Konjunktur mit der Einnahmen-Ausgaben-Situation der GKV zu befassen. Unter der Überschrift „Indikatoren zur GKV-Finanzentwicklung und ihre normativen Implikationen“ hat dies eine im Mai veröffentlichte Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) getan.
Untersucht wurde der Zeitraum 1991 bis 2017 - also ein hinreichend lange Zeit, um längerfristige Trends zu erkennen. Dabei schaut der Studien-Autor nicht nur auf die absolute Entwicklung der GKV-Finanzen, sondern setzt sie auch in Beziehung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und analysiert Pro-Kopf-Zahlen. Das erleichtert, strukturelle Verwerfungen zu erkennen.
Langfristig überproportionales Ausgabenwachstum
Das Bruttonationaleinkommen (BNE) ist im Untersuchungszeitraum um knapp 103 Prozent gestiegen - durchschnittlich um 2,8 Prozent pro Jahr. Die Ausgaben in der GKV sind dagegen im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 3,5 Prozent pro Jahr gewachsen. Da die Beiträge in der GKV an das Einkommen gekoppelt sind, deutet das bereits auf ein strukturelles Ungleichgewicht hin. Selbst bei guter Kassenlage muss es irgendwann zu Defiziten kommen, wenn die Ausgaben schneller steigen als die Einnahmen.
Noch deutlicher wird das in der Pro-Kopf-Betrachtung. Hier ermittelt die Studie ein Ausgabenwachstum von 141 Prozent pro Kopf im Zeitraum 1991 bis 2017 - 3,5 Prozent p.a.. Das beitragspflichtige Einkommen ist im Vergleich dazu nur um 85 Prozent gestiegen - um 2,4 Prozent p.a.. Zwischen Einnahmen- und Ausgabenwachstum klafft also eine Lücke von 1,1 Prozent. In der GKV wird nur das Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die Beitragsfestlegung zugrunde gelegt. Viele Besserverdiener wechseln bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze in die PKV. Beide Faktoren haben zum nur mäßigen Wachstum des beitragspflichtigen Einkommens beigetragen.
Wo sollten Maßnahmen ansetzen?
Bei der Ursachen-Analyse des zunehmenden Auseinanderdriftens von Einnahme und Ausgaben gibt es zwei mögliche Ansatzpunkte:
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die Einnahmenseite: legt man das Schwergewicht hierauf, würde von einer s trukturellen Unterfinanzierung der GKV ausgegangen, der durch geeignete Mittel - Erweiterung der Finanzbasis - gegenzusteuern wäre. Denkbare Maßnahmen: mehr staatliche Zuschüsse zur GKV, Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, Bürgerversicherung (Beamte, Selbständige und Besserverdiener zwangsweise in der GKV);
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die Ausgabenseite: hier würde der Hauptansatz bei Ausgabenbegrenzungen liegen, um die Finanzen wieder ins Lot zu bringen. Ziel wären Ausgabenbeschränkungen und Einsparungen.
Ausgaben begrenzen
Die Studie neigt dem zweiten Ansatz zu und sieht sich dabei durch die eigene Analyse bestätigt – zum Beispiel durch den im Vergleich zum BNE-Wachstum überproportionalen Ausgabenanstieg. Zwar wird konstatiert, dass es Faktoren wie den demografischen Wandel gebe, die quasi zu einem „natürlichen“ Ausgabenanstieg führten. Nichtdestotrotz werden Möglichkeiten für eine „Ausgabenbremse“ gesehen – im Wesentlichen durch mehr Effizienz: unter anderem durch Beseitigung von Fehlanreizen und die Stärkung marktwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen.
Chancen für mehr Effizienz sieht die Studie auch in der Digitalisierung. Hier seien viele Lösungen aber noch unvollständig oder unklar – Zeit zu handeln.