Im Jahre 2001 hat das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten „Beitragskinderurteil“ eine wegweisende Entscheidung zur Berücksichtigung von Kindern bei Beitragszahlungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung getroffen. Die Richter urteilten damals, dass bei der Beitragsbemessung neben den Geldbeiträgen auch der generative Erziehungsbeitrag von Beitragszahlern eine Rolle spielen müsse – oder anders ausgedrückt: Kinder und Kindererziehung sind ein relevanter Beitragsfaktor.
Das Gericht sah dies übrigens nicht nur bei der Pflegeversicherung als gegeben an. Auch im Hinblick auf die Krankenversicherung und die Rentenversicherung wurde der Gesetzgeber beauftragt, die „Kindergerechtigkeit“ der Beiträge zu überprüfen. Dafür setzte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis 2004.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitgehend ignoriert
Die damalige rot-grüne Bundesregierung reagierte auf das Urteil, indem 2005 für Kinderlose ein um 0,25 Prozentpunkte erhöhter Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung eingeführt wurde. Diese Regelung besteht bis heute. Die Beitragsregelungen in der GKV und in der Rentenversicherung blieben dagegen im Hinblick auf die Berücksichtigung von Kindern unangetastet. Darunter hat sich auch unter den Nachfolger-Regierungen nichts geändert.
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes wurden damit weitgehend ignoriert. Damit wollten sich einige Eltern nicht zufrieden geben. Unterstützt vom Deutschen Familienverband und vom Familienbund der Katholiken sind seit Längerem Musterklagen gegen die getroffenen Regelungen bzw. die Untätigkeit des Gesetzgebers angestrengt wurden, die mehrfach bis vor das Bundesozialgericht führten. Rund 2.000 Familien schlossen sich diesen Klagen an. Deutschlands oberstes Sozialgericht schmetterte die Verfahren allerdings regelmäßig ab.
Prozess vor dem Sozialgericht Freiburg
Eine Wendung könnte jetzt ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts Freiburg bringen. In dem betreffenden Fall hatten Eltern von vier Kindern geklagt. Beanstandet wurde, dass bei der Berechnung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht nach der Anzahl der Kinder differenziert werde. Der 0,25 Prozent-Zuschlag berücksichtige nur pauschal Kinder bzw. Kinderlosigkeit.
Ein weiterer Kritikpunkt der Kläger betraf die Regelung zum 2015 eingeführten Pflegevorsorgefonds. Unter anderem zu dessen Dotierung waren die Beiträge zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte erhöht worden. Ein Drittel der Einnahmen fließt seither in den Fonds. Auch hier hätte nach Ansicht der Kläger eine kinderbezogene Differenzierung stattfinden müssen. Beanstandet wurde ferner die unterschiedliche Behandlung von Eltern erwachsener Kinder und von Kinderlosen. Sie stehe nicht im Einklang mit dem Familienrecht.
Karlsruhe muss erneut entscheiden
Das Sozialgericht Freiburg folgte im Wesentlichen dieser Argumentation und urteilte, dass die Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung in der jetzigen Form nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei (Sozialgericht Freiburg, AZ 6 KR 5414/15). Die Freiburger Richter baten das Bundesverfassungsgericht um Überprüfung der bestehenden Regelungen und hebelten damit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Stück weit aus - ein außergewöhnlicher Vorgang. Auf das Ergebnis der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht darf man gespannt sein. Eine Entscheidung könnte ggf. über die Pflegeversicherung hinaus Bedeutung für die Krankenversicherung und die Rentenversicherung haben. Auch Auswirkungen auf die private Pflegezusatzversicherung sind nicht ausgeschlossen. Hier hatte das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Beitragskinderurteil zwar festgestellt, dass bei der „kapitalgedeckten Pflegeversicherung“ nicht von einer Gleichwertigkeit von Geldbeiträgen und generativen Beiträgen auszugehen sei. Der Gesetzgeber wurde aber verpflichtet, die Rechtsentwicklung zu beobachten und unter Umständen auch in diesem Bereich eine Berücksichtigung der Kindererziehung vorzusehen.